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Offene Worte


Heute Morgen hätte ich eigentlich einen Termin gehabt in der Burnout-Klinik, die ich hie und da noch seit meinem Zusammenbruch 2008 besuche. Aber ich mag nicht hingehen. Ich werde den Termin absagen. Ich kann es nicht mehr hören, von allen Seiten dasselbe: Sie müssen halt besser für sich selber schauen, sie müssen sich entlasten, etc. ICH KANN'S NICHT MEHR HÖREN. Ich mag auch nicht mehr hören, dass ich quasi noch selbst schuld sein soll, dass es mir nicht mehr gut geht.

All diejenigen, die so leichtfertig daherreden, sollten sich einfach mal selbst eine Woche lang um einen geliebten Angehörigen mit COPD kümmern. Dann hätten sie vielleicht eine Ahnung, worum es geht. Es ist nicht die körperliche Belastung, die einen aushöhlt, denn mit COPD kann man sehr lange noch viele Dinge selber erledigen. Zudem kann man die zusätzlich anfallende Hausarbeit und die Fahrten zu den unzähligen Arztbesuchen organisieren.

Es ist die psychische Belastung eines Angehörigen, das Zusehen müssen, wie jemand nur schlecht Luft kriegt, der zunehmende Zerfall, den man trotz aller Bemühungen nicht aufhalten kann, der Kampf gegen die Depressionen des Betroffenen, da man täglich versucht, ihn darauf aufmerksam zu machen, was toll gelaufen ist und wie viel er oder sie noch kann. Man bemüht sich, jemanden aufzubauen, ihm vor Augen zu führen, dass das Leben auch mit Einschränkungen schön sein kann, dabei glaubt man selber nicht mehr an all das, weil man müde, ausgelaugt, leer und depressiv ist. Die unendlich langen und doch viel zu kurzen Nächte, weil der eigene Schlaf immer wieder gestört ist. 3-4 Stunden am Stück schlafen sind für mich seit einem Jahr ein Luxus geworden. Entweder gilt es, nachts wieder irgendein Problem zu lösen oder ich bemerke die unregelmässige Atmung und höre im Dunkeln einfach zu, bis sie sich normalisiert und ich vielleicht doch noch einschlafen kann.

Freunde - die sind längst über alle Berge. Entweder, weil man ein paar Mal einen Termin absagen musste oder weil sie nicht verstehen, mit welchen Problemen ich mich täglich auseinandersetzen muss. Wenn ich nachdenke, ist mir niemand mehr geblieben. Und auf der Arbeit oder beim Einkaufen kann ich dieses flüchtige "Wie geht's dir?" schon gar nicht mehr hören. Ich sage "gut", damit Ruhe ist. Denn es interessiert niemanden wirklich.

Den Glauben an Ärzte als Helfer habe ich schon längst verloren. Man kriegt vor gut einem Jahr, nachdem es zuvor noch kaum Vorboten gab, die Diagnose "COPD im Endstadium" an den Kopf geknallt, erklärt wird einem nichts. Zwei Tage später klingelt die Tante mit dem Sauerstoffkasten an der Haustür und verabschiedet sich auch gleich wieder. Das ist der Informationsstand, den meine Mutter hat. Den Rest, den die Ärzte ihr hätten erklären müssen, habe ich mir aus dem Internet zusammengewürfelt in tagelanger Arbeit. Aber wenn's "nur" die Tochter erklärt, sind es halt einfach nur "Theorien über eine Krankheit, die sie gar nicht hat..." Da kann ich gegen Wände rennen. Ich wundere mich kein bisschen, dass meine Mutter mit aller Kraft die Akzeptanz der Krankheit verweigert. Das erschwert meine Situation zusätzlich massiv. Der tägliche Kampf, dass sie genügend an den Sauerstoff geht, dass sie ihre Medikamente nimmt - allein das ist ein Kraftakt. Aber sie ist ja nicht krank, weil sich keine Fachperson auch nur fünf Minuten die Mühe genommen hat, etwas zu erklären.

Lungensport, Atemphysio, etc. gibt's nicht. Dafür hat ja die berufstätige Tochter Zeit. Mit Mühe und Not bringe ich ihr das Wichtigste bei. Mein Rückstand auf der Arbeit ist gewaltig. Täglich gehe ich mit Angst zur Arbeit. Es könnte ja jemand bemerken, dass ich nur noch improvisiere im Unterricht... oder die Klasse könnte mir entgleiten, weil ich nicht auf der Höhe bin. Oder man könnte mir ansehen, dass ich nicht mehr kann. Abends kehre ich dankbar von der Arbeit zurück, weil ich wieder einen Tag "überlebt" habe.

Was ich tue, tue ich gerne für meine Mutter. Ich tue es nicht aus Schuldgefühlen, weil da noch irgendwas zwischen uns "offen" wäre.

Ich bin müde, ausgelaugt, leer, wütend. Ich wünschte, ich könnte einfach mal losheulen, mir den ganzen Schmerz und die ganze Verzweiflung aus der Seele weinen. Aber ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal weinen konnte. Es ist alles verkrampft und angespannt in mir. Mein Gehirn ist auf Kampf eingestellt. Der tägliche Kampf gegen den Zerfall, gegen die Depressionen meiner Mutter, gegen die Ärzte, die keinen Finger krumm machen. Der Kampf, wenigstens den aktuellen Zustand halten und vielleicht ein klein wenig lindern zu können. Der Kampf, ein bisschen mehr Qualität in das Leben meiner Mutter zu bringen.

Mir ist bewusst, dass ich den Kampf früher oder später verlieren werde, aber es geht um einen Menschen, der es wert ist, dass ich kämpfe.

Trotzdem, es geht mir schlecht. Grottenschlecht. Jeden Tag ziehe ich mir morgens eine Maske über. Ich muss schliesslich funktionieren wie ein Schweizer Uhrwerk. Sowohl zu Hause als auch auf der Arbeit. Obwohl ich keine Kraft mehr habe und ich mir sehnlichst wünschen würde, dass jemand mal nicht unverbindlich fragen würde: "Hey, wie geht's dir?"

Manchmal stelle ich mir die Frage: Wen wird's wohl schneller aus den Socken hauen - meine Mutter oder mich? Die Antwort darauf erschreckt mich, denn ich weiss es nicht.

Innerlich habe ich losgelassen, aber solange sie da ist, werde ich mich um sie kümmern. Und solange sie sich selbst pflegen und einfache Dinge noch selbst erledigen kann, kommt ein Pflegeheim nicht in Frage. Obwohl mich mein Arbeitgeber gestern wieder drängen wollte.

Ich fühle mich allein und im Stich gelassen. Und ich habe keine Idee, wie ich das ändern kann.


Letzte Änderung Mittwoch 13 November
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